„Grosers Werk ist kopflastig, teilweise kryptisch, formal, aber reizvoll, unbunt, aber gleichzeitig nie farblos.“ Barbara Unterthurner

Ursula Grosers Arbeiten kreisen um eine der zentralen Herausforderungen unserer Gesellschaft – das komplexe Verhältnis zwischen Individuum und Masse. Kein Autor hat die destruktiven Auswirkungen des menschlichen Herdentriebs so eingehend untersucht wie Elias Canetti in seinem 1960 erschienenen Standardwerk Masse und Macht. „Canetti beschreibt unter anderem vier charakteristische Eigenschaften der Masse: Die Masse will immer wachsen. In der Masse herrscht Gleichheit jedes Einzelnen. Die Masse liebt Dichte. Die Masse braucht Richtung. Die Prinzipien Wachstum, Gleichheit und Richtung sind auch wesentliche Aspekte in meinen Rauminstallationen“, so Ursula Groser (Ausstellungskatalog Ursula Groser Gefüge, RLB Atelier Lienz, 2013, S. 4). Neben anderen theoretischen Schriften, die sich mit dieser vielschichtigen Thematik befassen, dienen ihr auch Abläufe in der Natur als Inspirationsquelle. In diesem Zusammenhang ist auch die dreiteilige Fotoarbeit Autolyse (2013) zu sehen. Sie zeigt einen Schopftintling, einen sehr kurzlebigen Speisepilz, der zur Verbreitung seiner Sporen eine schwarze, tintenartige Flüssigkeit produziert und sich dabei, wie der Werktitel bereits verrät, selbst auflöst. Pilze bilden im Waldboden riesige Netzwerke, über die unterschiedliche Pflanzen Nährstoffe austauschen. Netzwerkartige Strukturen, das Ineinanderfließen von einzelnen Elementen wie letztlich auch die Auflösung des Individuums in der Masse greift die Künstlerin in ihren Arbeiten in unterschiedlichen Formen immer auf. Neben Rauminstallationen und Skulpturen aus einfachen, alltäglichen Gegenständen spielt besonders das bewegte Bild eine wichtige Rolle. In ihrer Videoarbeit Panopticon (2015) bewegen sich unzählige, winzige schwarze Figuren in einem Raster kreuz und quer, mal sich lockernd, dann wieder ballend. Die unaufhörliche, scheinbar ziellose Bewegung menschlicher Silhouetten wirkt durch die musikalische Untermalung fast hypnotisierend. Vor allem aber eröffnet der Titel in Anspielung an die zunehmende Überwachung im öffentlichen Raum wie auch die Beobachtung und Auswertung unserer digitalen Spuren beklemmende Gefühle. 

Silvia Höller

 

In Reih und Glied

Ursula Groser bedient sich in ihren Objekten, Skulpturen, Fotografien und Installationen einer Formensprache, deren Vokabular als organischen Ursprungs bezeichnet werden kann. Das Organische ist in ihren Arbeiten allgegenwärtig, sei es als Simulakrum (als künstlich erzeugtes Bild, das als Kopie eines nicht vorhandenen Originals verstanden wird), als Anspielung auf existierende Organismen oder als Andeutung des (menschlichen) Körpers. Die offensichtliche Lust am Experimentieren mit organischen Ausdrucksformen ist bei Groser jedoch niemals reiner Selbstzweck. Organische Formen sprechen uns meist unmittelbar an und rufen je nach Erscheinungsbild und/oder körperlicher Präsenz unterschiedliche Reaktionen wie Ekel, Angst, Lust etc. hervor. Organismen sind zugleich eine der grundlegenden Organisationsformen, die in der Natur vorkommen. Deren Struktur baut auf die selbsttätige Verbindung von Zellen auf und deren Existenz setzt die Fähigkeit von Wachstum und Transformation voraus. Eben diese prozessuale Qualität organischer Strukturen sowie ihre Selbstreferenzialität macht sich Ursula Groser in ihrer Kunst zunutze, um ihre „Organismen“ als Kommunikationsmedien für eine Kritik an zeitgenössischen gesellschaftlichen (und auch politischen) Zuständen einzusetzen.

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In Reih und Glied > Text von Andrei Siclodi
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